Austausch und gegenseitige Kontaktaufnahme sind essentiell
Der Austausch und die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme zwischen Wissenschaftler*innen und den relevanten Bundesinstituten und Behörden ist weitaus wichtiger als der reine Zugriff auf Daten aus den Meldevorgängen in Human- und Veterinärmedizin. Dieses Fazit zogen die Teilnehmer*innen des Workshops „Elektronisches Meldewesen“, zu dem die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen am 1. und 2. Juli 2010 nach Berlin eingeladen hatte. Die Veranstaltung diente der umfassenden Bestandsaufnahme aller Meldevorgänge in Human- und Tiermedizin und hatte das Ziel, den Nutzen von public-use-files – für Wissenschaftler und Öffentlichkeit zugängliche Meldedaten – abzuschätzen.
Referenten beim Workshop in Berlin
Daten sind nicht gleich Daten
Ob es epidemiologische Zusammenhänge zwischen Q-Fieber-Ausbrüchen bei Menschen und Rindern gibt oder ob Salmonellen-Ausbrüche bei Kindern nach dem Verzehr von Mahlzeiten in Gemeinschaftseinrichtungen mit dem Vorkommen von Geflügel in demselben Landkreis in Zusammenhang stehen, wird sich wahrscheinlich mit einer einfachen Auswertung der vorhandenen Datensätze nicht schnell und umfassend beantworten lassen. Zumindest müsste zunächst genau geprüft werden, nach welchen Kriterien und mit welchem Ziel die jeweiligen Daten gesammelt wurden bzw. in welcher Genauigkeit sie in den zugänglichen Datenbanken vorliegen.
Die gesetzlichen Grundlagen für die Meldeprozesse und die damit verbundenen Aufträge zur Datensammlung sind sehr unterschiedlich. Aus diesem Grund lassen sich die Daten nicht automatisch vergleichen. Dies wurde aus den Ausführungen von Dr. Tim Eckmanns (Robert Koch-Institut, RKI) und dem Leiter des Instituts für Epidemiologie des Friedrich-Loeffler-Instituts, PD Dr. Franz J. Conraths, deutlich. Daten, die zur Überwachung eines Prozesses gesammelt werden, sind nicht mit Daten gleichzusetzen, die für eine bestimmte Forschungsfragestellung oder für Präventions- oder Informationszwecke erhoben werden, betonte auch Prof. Dr. Lothar Kreienbrock, Statistiker an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover.
Teilnehmer*innen in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung Berlin; Dr. Tim Eckmanns (Robert Koch-Institut, RKI)
Insbesondere Daten aus der Lebensmittelüberwachung, wie sie am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und am Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erhoben werden, gehen aus Stichprobenuntersuchungen hervor, so dass sie sowohl Positiv- als auch Negativbefunde erhalten. Damit sind sie nicht mit reinen „Fallzahlen“ infiziert gemeldeter Menschen oder Tiere oder mit der großen Anzahl gemeldeter Krebserkrankungen, die im Zentrum für Krebsregisterdaten am RKI vorliegen, zu vergleichen.
Neben der Erhebung der Daten lag der Fokus des Workshops auch auf den Melde- und Übertragungswegen – elektronisch, per Fax oder per Telefon – sowie auf der Analyse der Interaktionen zwischen den jeweils Beteiligten des ÖGDs: von den Gesundheits-, Veterinär- und Lebensmitteluntersuchungsämtern über die Landesstellen bis hin zu den Bundesinstituten. Dr. Gabriele Sinn vom Bezirksgesundheitsamt in Charlottenburg-Wilmersdorf in Berlin erläuterte, dass in der Humanmedizin überwiegend in Papierform gemeldet wird. Dagegen werden in der Tiermedizin vom Amtstierarzt bis zum Bundesinstitut alle Daten digital gesammelt, wie Dr. Carolina Probst (FLI) zusammenfasste.
Zusammenarbeit von Wissenschaft und ÖGD noch ausbaufähig
Wenn die Seuchenlage es erforderlich macht, kommunizieren die relevanten Stellen der Behörden und der Forschung bereits heute sehr gut und ausführlich miteinander. Dies berichtete Dr. Stefan Brockmann aus dem Landesuntersuchungsamt Baden-Württemberg. Grundsätzlich jedoch ist der Austausch zwischen ÖGD/Behörden und Wissenschaftlern noch verbesserungswürdig. Der Workshop in Berlin war ein erster Schritt um diesen Austausch zu optimieren.
Meldemoral in der Ärzteschaft unterschiedlich stark ausgeprägt
Die Teilnehmer*innen beurteilten die Relevanz bestimmter Meldeprozesse sehr unterschiedlich. So wurde die Meldung vom Arzt an das Gesundheitsamt, die in der Regel eine zusätzliche Meldung zur Labormeldung darstellt, teils als nachrangig, teils als wesentlich und dringend verbesserungswürdig eingeschätzt. Auffällig ist die unterschiedliche Meldemoral zwischen Ost und West, aber auch innerhalb einzelner Bundesländer. Insgesamt bestand Einigkeit darüber, dass die positiven Anreize für Ärzte, meldepflichtige Erkrankungen konsequent anzuzeigen, verstärkt werden müssten.
Die Teilnehmer*innen beurteilten die Relevanz bestimmter Meldeprozesse sehr unterschiedlich. So wurde die Meldung vom Arzt an das Gesundheitsamt, die in der Regel eine zusätzliche Meldung zur Labormeldung darstellt, teils als nachrangig, teils als wesentlich und dringend verbesserungswürdig eingeschätzt. Auffällig ist die unterschiedliche Meldemoral zwischen Ost und West, aber auch innerhalb einzelner Bundesländer. Insgesamt bestand Einigkeit darüber, dass die positiven Anreize für Ärzte, meldepflichtige Erkrankungen konsequent anzuzeigen, verstärkt werden müssten
Referentinnen und Referenten des Workshops (Foto: Zoonosenplattform)
Standardisierte Software zu Unterstützung der Prozesse
Die Meldeprozesse könnten durch geeignete Meldesoftware unterstützt werden, die einerseits dem Arzt die formalen Aufgaben erleichtern und zugleich die zeitintensive Datensortierung und Weiterleitung in den Ämtern optimieren könnte. Frank Oemig (Agfa Healthcare und Mitglied des Standardisierungsgremiums HL7) betonte, dass hierfür eine Software grundlegend sei, die weltweit standardisiert sein müsste und dann die Meldungen vom Arzt über die Behörden bis zu internationalen Gremien vereinfachen könnte. International gültige Kataloge, die als Basis hierfür dienen können, sind bereits in der Entwicklung und werden derzeit international abgestimmt, erklärte Dr. Sylvia Thun vom Deutschen Institut für Dokumentation und Information (DIMDI).
Teilnehmer*innen beim Austausch in der Pause
Wie die Telematikinfrastruktur für das Gesundheitswesen auch für das elektronische Meldewesen in der Medizin sinnvoll eingesetzt werden kann, erläuterte Dr. Charlott Meyer (Bundesministerium für Gesundheit, BMG). Sie stellte ein Projekt im Rahmen des IT-Gipfels der Kanzlerin vor, das am BMG angesiedelt ist und mit dem RKI sowie mit ausgewählten Laboren kooperiert. In der Diskussion zeigte sich, dass der Übergang von Pilotprojekten zum generalisierten Ansatz häufig schwierig ist, da an dieser Stelle kurzfristig hohe Kosten für die Anschaffung standardisierter Lösungen entstehen können.
Enge Zusammenarbeit von ÖGD und Forschung für die Zukunft notwendig
Die Teilnehmer des Workshops gingen mit dem Wunsch auseinander, den in der Veranstaltung angestoßenen Austausch in der nächsten Zeit weiter zu intensivieren und die neu geknüpften Kontakte auszubauen. Der Ausbau des Datenbank-Internetportals der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen als Kooperations- und Kontaktbörse sowie die geplante Dokumentation der Bestandsaufnahme zum Meldewesen in Form eines Tagungsbandes werden diese Entwicklung unterstützen.
Link zu den Vorträgen der Referenten
Link zum Programm
Link zum Ankündigungsplakat
Weitere Links zu diesem Thema:
Radiobeitrag zum Workshop "Elektronisches Meldewesen" im Deutschlandfunk
Interview mit Dr. Sylvia Thun (DIMDI), Frank Oemig (AgfaHealthcare/HL7) und Dr. Gérard Krause (RKI)
Wissenschaftliche Leitung
Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann, Universität Greifswald, Greifswald
Prof. Dr. Heinrich Neubauer, Friedrich-Loeffler-Institut, Jena
Sebastian C. Semler, TMF e. V. Berlin
Tagungsort
Kaiserin-Friedrich-Stiftung Berlin
Robert-Koch-Platz 7
10115 Berlin-Mitte
Webseite: www.kaiserin-friedrich-stiftung.de