„Dual Use Research of Concern“ (DURC) bezeichnet Forschungsvorhaben, deren Ergebnisse eigentlich dem Nutzen der Gesellschaft dienen sollen, aber potentiell für bioterroristische Zwecke missbraucht werden können. Eine Debatte über derartige Forschungsprojekte beschäftigt die Wissenschaft seit 2012. Über den aktuellen Stand dieser Debatte und die Möglichkeiten einer Regulierung potentiell gefährdender Forschung informierte ein Workshop der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen am 15. September 2015 in Berlin. Aus den Diskussionen der Teilnehmer*innen kristallisierte sich heraus: „Zusätzliche Regulierung ist sinnvoll, jedoch keine gesetzliche.“
Dr. Linda Brunotte (Universität Münster),
Organisatorin des Work-
shops, begrüßte die Teil-
nehmer und moderierte die
Diskussionen.
Prof. Dr. Stephan Becker
(Universität Marburg)
Vor der Möglichkeit der Einführung eines „Forschungsgesetzes“ oder einer „Forschung unter Genehmigungsvorbehalt“ warnten die Teilnehmer aus Wissenschaft, deutscher Förderlandschaft und Ethikkommissionen während des Workshops „Dual Use of Concern – Wie gut sind wir vorbereitet auf die Konsequenzen der aktuellen Debatte?“. Vielmehr sei es Aufgabe der Wissenschaftler*innen, bindende Regelungen für die Forschung zu finden, um missbräuchliche Anwendung von Forschungsergebnissen zu vermeiden. Eine nationale Regelung erwarten auch die Förderer, da sie die Verantwortung für die Forschungsergebnisse, die mit ihrer Förderung entstehen, nicht übernehmen können. Die Workshop-Teilnehmer*innen favorisierten, bestehende Strukturen mit der Aufgabe der Risikobewertung der wenigen kritischen Forschungsvorhaben zu betrauen, ohne hierfür Gesetze neu entwerfen oder umformulieren zu müssen.
Auch Forschungseinrichtungen müssen ihre Verantwortung wahrnehmen
Prof. Dr. Stephan Becker von der Universität Marburg plädierte dafür, dass nicht nur Forscher*innen, sondern auch Forschungseinrichtungen ihre Verantwortung wahrnehmen müssten. Gemeinsam sollten sie Risiken und Nutzen potentiell gefährlicher Forschungsprojekte aus sämtlichen Wissenschaftsbereichen gegeneinander abwägen. Er stellte eine Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wissenschafts-Akademie Leopoldina vor, deutschlandweit an Hochschulen „Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung“ (KEF) zu installieren bzw. bereits bestehende Kommissionen um den Aspekt sicherheitsrelevanter Forschung zu erweitern.
Gleichzeitig müssten Aspekte wie das Gefährdungspotential von Forschung und die Eigenverantwortung der Forschenden Einzug in die Lehrpläne der deutschen Universitäten halten. Aus der hochschulinternen Kommission „für Forschung und Verantwortung“ der Universität Marburg beschrieb Becker Beispiele, wonach das Thema Dual Use keineswegs nur eines der Virologie, sondern vieler Forschungsfelder sei. Daraus folgernd lehne er eine Einzellösung nur für die Reglementierung virologischer Forschung ab.
Die Maßnahmen der wissenschaftlichen Gemeinschaft zur Selbstregulierung der Risiko-Forschung würden durchaus auch von Seiten der Politik wahrgenommen, betonte Dr. Stephan Roesler vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Damit machte er deutlich, dass die Wissenschaft durchaus große Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Debatte und bei der Etablierung neuer Regelungen hat und eine gesetzliche Regelung nicht unbedingt die letzte Konsequenz sein muss.
Die Logik der Pathogene erfordert eine internationale Regelung
Vom Versuch, eine internationale Harmonisierung herbeizuführen, berichtete Prof. Dr. Thomas C. Mettenleiter. „Bisher wird noch sehr national argumentiert“, stellte der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts fest, „die Logik potentiell pandemischer Pathogene erfordert jedoch eine internationale Regelung, schließlich breiten sich die Erreger auch potentiell über Staatsgrenzen hinweg aus.“ Weltweit herrschen in den Ländern, in denen Forschung auf diesen Gebieten betrieben wird, sehr unterschiedliche Standards und Regelungen.
Mettenleiter skizzierte die Möglichkeit, z. B. mit Hilfe des EASAC (European Academies Science Advisory Council) eine Harmonisierung aus der Wissenschaft heraus auf europäischer Ebene herbeizuführen. Allerdings schlägt er eine Regelung für das klar umgrenzte Gebiet der Forschung mit hochpathogenen Viren vor. Eine Ausweitung auf andere Wissenschaftsbereiche würde zu Unschärfen und damit im Zweifel zu großen Einschränkungen führen.
So zeichneten sich zum Ende des Workshops zwei Lösungsansätze ab: eine eng umgrenzte, internationale Regelung zu DURC-Forschung sowie die Gründung von Kommissionen an Forschungsinstituten, die thematisch breiter aufgestellt sind und von einer nationalen Anlaufstelle angeleitet werden könnten.
Prof. Dr. Thomas
Mettenleiter
(Friedrich-Loeffler-
Institut)
Es bedarf einer klaren begrifflichen Grundlage
Dr. Jens Bohne (Medizinische
Hochschule Hannover)
„Ziel der Diskussion um die Dual Use-Forschung muss zunächst sein, klare Abgrenzungen zu schaffen und genau zu differenzieren“, sagte Referent Dr. Jens Bohne von der Medizinischen Hochschule Hannover. In den Redebeiträgen und den Wortmeldungen der Workshop-Teilnehmer*innen stellte sich schnell heraus, dass selbst nach drei Jahren Debatte um „Dual Use of Concern“ noch Klarheiten geschaffen werden müssen: Was genau bezeichnet „Dual Use“? Worin liegt der „Concern“? Etc. Die Community der Wissenschaftler*innen müsse Begrifflichkeiten klar bestimmen und differenziert einsetzen, sonst bestehe die Gefahr, dass die Virologie unter den Generalverdacht eines „Science Risk“ gestellt werde, so einige Teilnehmer*innen während der Diskussion.
Der Nutzen der Grundlagenforschung muss im Verhältnis zu ihren Risiken erklärt werden
Aufbauend auf einer begrifflichen Grundlage, die es noch zu erarbeiten gilt, müsse eine Kommunikationsstrategie entworfen werden. „Das verzerrte Bild des Forschenden, der im Keller Monster baut, darf sich nicht manifestierten“, mahnte Prof. Dr. Stephan Ludwig von der Universität Münster, Veranstalter des Workshops. Er forderte, dass der Nutzen der Grundlagenforschung im Gegensatz zu den Risiken in Zukunft deutlicher herausgestellt werden müsse.
Dies impliziere auch, potentielle Stakeholder in der Diskussion zu einzubinden. „Man muss eine Kommunikationsstrategie erarbeiten und die Stakeholder einbeziehen“, riet Prof. Dr. Joachim Schiemann vom Julius-Kühn-Institut, der von seinen Erfahrungen mit Protesten gegen die Grüne Gentechnik berichtete. Seine Erfahrungen lehrten ihn, Stakeholder-orientierte Workshops durchzuführen. So könne ein gewisses Verständnis füreinander entstehen und eine gemeinsame Annäherung stattfinden. Insbesondere würden letztlich auch die Ergebnisse davon profitieren. Wer genau die Stakeholder der Dual Use-Forschung sind, muss in Zukunft genauer analysiert werden.
Prof. Dr. Stephan
Ludwig (Universität
Münster)
Austausch wird in Kommission der GfV und Zoonosenplattform fortgesetzt
Ein Forum, um Definitionen zu erarbeiten und aus ihnen weitere Schritte in der Dual Use-Debatte abzuleiten, möchte eine Kommission zur Begleitung von Forschung mit DURC-Potential sein, die an die Gesellschaft für Virologie (GfV) angeschlossen ist und kurz vor ihrer offiziellen Gründung eine erste Sitzung im Anschluss an den Workshop abhielt. Diese Kommission könnte als Interessenvertretung der Virologen und Virologinnen bei der Umsetzung von Ethikrichtlinien nach außen dienen, Ansprechpartner für die Öffentlichkeit sein sowie den internen Dialog innerhalb der Infektionsforschung aufrechterhalten. Ziel soll es sein, Mechanismen zu finden, die für DURC-relevante Projekte und die Arbeit der betrauten Kommissionen greifen.
Da die DURC-Debatte auch die mikrobiologische Fachwelt betrifft, wird hier aktuell eine Vernetzung mit der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) angestrebt, um eine gemeinsame Strategie zum Umgang mit den Konsequenzen der Debatte auszuarbeiten.
Für die Einbeziehung der Öffentlichkeit und der Stakeholder in die DURC-Debatte steht die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen zur Verfügung. Sie ermutigt Wissenschaftler*innen, Anträge für die Förderung weiterführende Workshops zur DURC-Debatte zu stellen, um dem Diskussionsbedarf Raum zu geben.
Prof. Dr. Joachim Schiemann
(Julius-Kühn-Institut)
Referierende und Teilnehmer*innen
diskutierten angeregt über die
Konsequenzen der Dual Use-
Debatte für die Forschung.