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Empfänglichkeit von Tieren gegenüber SARS-CoV-2

Tierstudien SARS-CoV-2 FLI

Wissenschaftlerinnen beantworten Fragen zu ihren Studienergebnissen an verschiedenen Tierspezies 

Über 60 % aller neuauftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen werden durch Erreger zoonotischen Ursprungs verursacht, also durch Erreger, die ursprünglich aus dem Tierreich stammen [1]. Ein zoonotischer Ursprung ist auch bei dem Coronavirus SARS-CoV-2 wahrscheinlich. Die rasante Ausbreitung von COVID-19 auf der ganzen Welt ist indes durch Mensch-zu-Mensch-Übertragungen gekennzeichnet. Doch zwei Fragen bleiben nach wie vor unklar: 1. Von welchem Tier wurde der Erreger ursprünglich auf den Menschen übertragen? 2. Können sich weitere Tiere in der näheren Umgebung des Menschen, wie zum Beispiel Nutztiere, mit dem Virus infizieren, bzw. als weitere Infektionsquelle für den Menschen fungieren? Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) ist als Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit mit dem Schutz der Gesundheit landwirtschaftlicher Nutztiere und dem Schutz des Menschen vor Zoonosen beauftragt. Dementsprechend fallen beide Fragestellungen in das Ressort des Institutes und werden dort untersucht. An den Studien beteiligt sind auch drei Nachwuchswissenschaftlerinnen der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen: Dr. Annika Graaf und Dr. Kore Schlottau vom Institut für Virusdiagnostik (IVD) und Dr. Melanie Rissmann vom Institut für neue und neuartige Tierseuchenerreger (INNT). Einige Ergebnisse ihrer Untersuchungen wurden nun in einer gemeinsamen Publikation [2] mit anderen Forscher*innen des FLI in der Fachzeitschrift „The Lancet Microbe“ veröffentlicht. Über die Ergebnisse, deren Bedeutung und die aktuelle Forschungssituation im Allgemeinen haben wir mit den drei Wissenschaftlerinnen gesprochen.

Dr. Graaf, Dr. Rissmann und Dr. Schlottau, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung Ihres Artikels. Welche Fragestellungen wurden darin untersucht?

In der Studie haben wir die Empfänglichkeit von vier verschiedenen Tierspezies gegenüber dem Coronavirus SARS-CoV-2 untersucht. Außerdem sollten eine etwaige Verteilung des Virus im tierischen Organismus und mögliche Übertragungswege erkannt werden. Zum einen wurde dies bei Hühnern und Schweinen untersucht. Diese sind etablierte Nutztiere in Europa und es stellt sich die Frage, inwieweit eine Gesundheitsgefahr vom Virus für die Tiere ausgeht. Zum anderen wurden Untersuchungen mit Nilflughunden als Modelltier für einen Reservoirwirt durchgeführt. Da ein naher Verwandter von SARS-CoV-2 in Hufeisennasenfledermäusen nachgewiesen werden konnte, sind Fledermäuse als Reservoirwirte sehr wahrscheinlich. Das Friedrich-Loeffler-Institut verfügt über eine gut charakterisierte Laborkolonie von Nilflughunden, die hier als Modelltiere herangezogen werden konnten. Als vierte Tierspezies wurden Frettchen untersucht. Diese Spezies ist bereits ein bewährtes Tiermodell für respiratorische Infektionskrankheiten (z.B. Influenza) und kommt daher für Studien von Impfstoffen und Therapeutika in Frage.

Die vier Tierspezies wurden über die Nase mit SARS-CoV-2 in Kontakt gebracht (intranasal inokuliert). Zudem wurden gesunde Kontakttiere mituntersucht, um zu schauen, ob sich die Tiere untereinander anstecken können.

Was waren die wichtigsten Ergebnisse der Studie?

Unter unseren experimentellen Bedingungen ließen sich Hühner und Schweine nicht mit dem Virus infizieren. Bei den Nilflughunden ließ sich eine vorübergehende Infektion bei den Tieren nachweisen. Zudem steckte sich auch eines der Kontaktiere mit dem Virus an. Am empfänglichsten für das Virus waren die Frettchen, bei denen sich auch alle Kontakttiere mit dem Virus infizierten. Zudem konnten bei den Nilflughunden und bei den Frettchen Antikörper gegen das Virus nachgewiesen werden, was auf eine Immunantwort bei den Tieren hinweist.

Wie interpretieren Sie diese Ergebnisse?

Schweine und Hühner scheinen durch das Virus nicht bedroht zu sein, was eine wichtige Nachricht für die Nutztierhaltung ist. Nilflughunde zeigen Eigenschaften eines Reservoirwirtes. Diese Beobachtung bekräftigt die Annahme, dass SARS-CoV-2 ursprünglich von Fledermäusen kommt. Die Frettchen zeigen Symptome ähnlich einer milden Infektion bei Menschen. Frettchen könnten daher ein geeignetes Modell zur Testung von Impfstoffen oder antiviralen Medikamenten sein.

Genetisch betrachtet ist das Schwein dem Menschen sehr ähnlich. Wie erklären Sie sich, dass es dennoch in den Untersuchungen nicht vom Virus betroffen ist?

Zum Eintritt in die Zelle bindet das Virus an den ACE2-Rezeptor. Es gibt eine Studie wonach die Bindungsstelle dieses Rezeptors bei Schweinen eigentlich auf SARS-CoV-2 passen sollte (Stichwort: Schlüssel-Schloss-Prinzip) [3]. Allerdings ist der Zelleintritt ein multifaktorieller Prozess und wir wissen noch nicht genug über eventuelle Co-Faktoren etc. Um den Eintritt des Virus in die Zelle vollständig zu verstehen und dadurch sagen zu können, bei welcher Spezies dies funktioniert und bei welcher nicht, ist noch weitere Forschung notwendig. Darüber hinaus spielen auch andere Faktoren, wie etwa angeborene Immunität, eine Rolle bei der Empfänglichkeit für ein Virus. An dieser Stelle muss man natürlich auch bedenken, dass es sich bei unseren Untersuchungen um eine Pilotstudie mit einer kleinen Anzahl an Tieren einer Rasse und einer Altersgruppe handelt. Unsere Ergebnisse decken sich jedoch mit Studienergebnissen anderer Forschungsgruppen.

Hausschweine

 

Abb. 1: Schweine sind dem Menschen genetisch sehr ähnlich. Dennoch infizierten sie sich in der Studie nicht mit SARS-CoV-2. Was sie vor einer Infektion schützt, muss noch erforscht werden. Bild: pixabay

Hühner und Schweine werden als Nutztiere gehalten und haben daher Kontakt zum Menschen. Wie schätzen Sie das Risiko ein für eine Übertragbarkeit des Erregers auf diese Spezies zu einem späteren Zeitpunkt?

Wir konnten Hühner und Schweine unter unseren experimentellen Bedingungen nicht infizieren, und auch anderen Gruppen ist das nicht gelungen. Auch aus dem Feld gibt es bisher keine Hinweise zu Infektionen bei Nutztieren. Trotzdem ist zu beachten, dass der Übertritt eines Erregers auf eine andere Spezies durch bestimmte Faktoren begünstigt wird. Dazu zählt natürlich auch die räumliche Nähe und die Häufigkeit der Exposition. Insgesamt schätzen wir das Risiko hier eher als gering ein, jedoch sollte fallbezogen gezielt weiter untersucht bzw. beobachtet werden.

Sie schlussfolgern aus Ihren Ergebnissen, dass das Frettchen als ein geeignetes Tiermodell für die Untersuchung von Impfstoffen und Therapeutika gegen SARS-CoV-2 dienen könnte. Mittlerweile befinden sich jedoch schon viele Kandidaten in der klinischen Erprobung am Menschen. Glauben Sie ein Tiermodell ist dennoch notwendig?

Tiermodelle sind ein wichtiger Baustein für die genaue Charakterisierung eines Wirkstoffes und die Absicherung gegen mögliche starke Nebenwirkungen. Daher sind sie in den ersten Phasen der Entwicklung eines Therapeutikums oder eines Impfstoffes nach wie vor unumgänglich. Zudem gibt es einige Voruntersuchungen, wie zum Beispiel Challenge-Versuche, die beim Menschen ethisch nicht umsetzbar sind. Für neue Wirkstoffe brauchen wir daher nach wie vor Tiermodelle.

Die jetzige Pandemie ist durch Mensch-zu-Mensch Übertragungen gekennzeichnet. Warum ist die Rolle von Tieren trotzdem relevant?

Zum einen geht es darum die Risiken für und durch Nutztiere abschätzen zu können. Aber auch die Rolle von Haustieren ist wichtig, da sich diese ggf. auch beim Menschen infizieren könnten bzw. als Überträger einer Erkrankung fungieren können. Wir müssen zudem davon ausgehen, dass der Ursprung des Erregers im Tierreich zu finden ist. Das Reservoir des Virus zu finden kann uns helfen, den Ursprung der Pandemie nachzuzeichnen und dadurch gegebenenfalls präventive Maßnahmen für die Zukunft zu entwickeln. Auch kann sich über die Zeit ein neues Reservoir für das Virus in einer Tierart etablieren. Und natürlich sind geeignete Tiermodelle, wie eben erwähnt, nach wie vor ein wichtiger Baustein in der Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika.

Sie arbeiten normalerweise alle Drei an unterschiedlichen Erregern. Wie kam es zu dieser gemeinsamen Arbeit?

Es stimmt, dass sich unsere Forschung normalerweise auf unterschiedliche Viren konzentriert. Allerdings haben wir alle Drei Erfahrungen in der Arbeit mit hochpathogenen Erregern. Diese Expertisen konnten wir nun in der gemeinsamen Erforschung von SARS-CoV-2 zusammenbringen. Zudem konnten wir alle unser individuelles Wissen über die Arbeit mit den einzelnen unterschiedlichen Tierspezies, die wir untersucht haben, einbringen. Durch die gegenseitige Ergänzung unseres Wissens und unserer Erfahrungen war die Umsetzung der vorgestellten Forschungsarbeit möglich.

Biohazard

Abb. 2: Biogefährdung - Die Arbeiten mit SARS-CoV-2 erfolgen in Deutschland unter der Sicherheitsstufe 3 (S3), der zweithöchsten Sicherheitsschutzstufe. Forschung unter S3 Bedingungen erfordert ein spezielles Training, welche unsere drei Interviewpartnerinnen alle im Laufe ihrer Ausbildungen absolviert haben.

Die Coronavirus-Pandemie hat die Forschung gerade auf zahlreichen Ebenen beschleunigt - Fluch oder Segen?

Auf der einen Seite ist es natürlich toll, dass sich die Publikationszeiten bei den Fachzeitschriften gerade enorm verkürzt haben. Teilweise muss man sonst bis zu einem Jahr warten bis die eigene Forschungsarbeit publiziert wird. Zudem ermöglicht die Bereitstellung von Arbeiten in Form sogenannter Preprints, also Veröffentlichungen vor Durchlaufen der gängigen Begutachtungsverfahren, einen sehr viel schnelleren Informationsaustausch in der Wissenschaft.

Auf der anderen Seite hat man aber auch das Gefühl, dass die hohe Geschwindigkeit, mit der Ergebnisse veröffentlicht werden, teils zu Lasten der Qualität geht. Einigen eilig publizierten Studien fehlt es an der gewohnten Tiefe und etwaige Details wurden nicht oder zumindest nicht in der sonst üblichen Ausführlichkeit berücksichtigt. Betrachtet man die ungeheure Fülle an täglich neu erscheinenden Studien zu SARS-CoV-2, kommt man mit dem Lesen gar nicht mehr hinterher, weshalb man aufpassen muss, dass gute Studien nicht einfach in der Flut an Publikationen untergehen.

Natürlich ist es wichtig, dass wir in der Forschung jetzt schnell Antworten für die aktuelle Pandemie finden. Dies sollte jedoch nicht zu Lasten der Qualität gehen und langfristig sollten auch andere Forschungsbereiche nicht aus den Augen verloren werden. Das wäre nicht nachhaltig.  Schließlich kann die nächste Pandemie auch durch ein Influenzavirus, ein Flavivirus, ein Henipavirus oder einen anderen Erreger verursacht werden.

Publikationen SARS-CoV-2 Abb. 3: Rasante Zunahme der Forschungstätigkeit zu Coronaviren im Jahr 2020. Die Grafik zeigt die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zum Suchbegriff "coronavirus" bei Pubmed nach Erscheinungsjahr (aufgerufen am 15.07.2020).

Glauben Sie die durch die Pandemie verstärkte internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Forschung wird über die Pandemie hinaus Bestand haben?

Auf jeden Fall hat die aktuelle Situation die Relevanz einer internationalen fächerübergreifenden Zusammenarbeit noch einmal bekräftigt. Es gibt jedoch noch sehr viel Verbesserungspotenzial, insbesondere in der Zusammenarbeit von Human- und Veterinärmedizin, was zum Beispiel das Thema „Diagnostikkapazitäten“ in diesem Fall gezeigt hat. Es wäre wünschenswert, wenn die Pandemie dazu führt, dass die Zusammenarbeit in der Wissenschaft zukünftig weiter gestärkt und ausgebaut werden würde.

Frau Dr. Graaf, Frau Dr. Rissmann, Frau Dr. Schlottau, wir danken Ihnen vielmals für das Gespräch!

 

Interview: Dr. Dana A. Thal für die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen

 

Literatur:

  1. Jones, K.E., et al., Global trends in emerging infectious diseases. Nature, 2008. 451(7181): p. 990-993.
  2.  Schlottau, K., et al., SARS-CoV-2 in fruit bats, ferrets, pigs, and chickens: an experimental transmission study. The                     Lancet Microbe, 2020.
  3. Wan, Y., et al., Receptor Recognition by the Novel Coronavirus from Wuhan: an Analysis Based on Decade-Long Structural Studies of SARS Coronavirus. 2020. 94(7): p. e00127-20.

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