Copyright Grafik: World NTD day
Vernachlässigte tropische Krankheiten (im Englischen neglected tropical diseases (NTDs)) sind eine Gruppe an Erkrankungen, die vorrangig in den Tropen in Asien, Südamerika und Afrika auftreten. NTDs können durch Bakterien, Viren, Parasiten und Protozoen verursacht werden und sind häufig armutsassoziiert. Auch einige Zoonosen zählen zu den NTDs. Vernachlässigte Tropenkrankheiten sind weiterhin ein globales Gesundheitsproblem Am 30. Januar 2021 ist der zweite World NTD Day, der Fortschritte im Kampf gegen NTDs würdigen soll, sowie Initiativen im Kampf gegen NTDs in den Fokus rückt (#EndtheNeglect, #BeatNTDs).
Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen nimmt den Tag zum Anlass, um mit dem Sprecher des Deutschen Netzwerkes gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDS) Prof. Dr. Achim Hörauf zu sprechen. Der Direktor des Instituts für Med. Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie an der Uniklinik Bonn forscht bereits seit Jahren zu vernachlässigten Tropenkrankheiten insbesondere zu Filariosen (durch Filarien (parasitäre Würmer) ausgelöste Krankheiten). Ihm haben wir 5 Fragen zu NTDs gestellt.
Prof. Hörauf, in welchen Regionen der Welt sind „Vernachlässigte Tropenkrankheiten“ (engl. Neglected Tropical Diseases, NTDs) vorrangig ein Gesundheitsproblem?
Hörauf: Vorrangig im wesentlich zwischen dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis, also jeweils der 23. Breitengrad, wo es dann zum Äquator hin feuchter wird. Die Krankheiten brauchen in der Mehrzahl feuchtes Klima, sei es für Übertragung, oder auch für dichte Besiedlung. Und natürlich warme Temperaturen. Interessanterweise leben die meisten Menschen mit vernachlässigten Tropenkrankheiten nicht in Afrika, sondern in Asien, einfach deshalb, weil es dort eine sehr viel höhere Bevölkerungszahl gibt. Aber pro Kopf gerechnet ist Afrika der am stärksten betroffenen Kontinent, mit den meisten dieser Krankheiten in Zentralafrika. Das liegt daran, dass es dort etliche Länder mit instabilen politischen Systemen und schlechter Gesundheitsversorgung gibt.
Was ist mit der Beschreibung „vernachlässigt“ gemeint und was hat Ihrer Meinung nach zur dieser „Vernachlässigung“ geführt?
Hörauf: Mit vernachlässigt ist Verschiedenes gemeint: zum einen, dass diese Gruppe von Krankheiten lange in der Aufmerksamkeit der Welt deshalb vernachlässigt wurde, weil die Betroffenen zu den ärmsten der Bevölkerung gehören und somit keine Stimme in der Welt hatten. Ein weiterer Aspekt ist die Gegenüberstellung zu den „Big three“, also Malaria, HIV, Tuberkulose, für die zum Beispiel durch den Global Fund viele Milliarden $ zur Bekämpfung und Entwicklung von Medikamenten zur Verfügung gestellt wurden, von den reichen Gebernationen des Westens, aber in letzter Zeit natürlich auch aufstrebenden asiatischen Ländern.
Der dritte Aspekt ist der, dass Krankheiten, wenn sie Touristen, Berufsreisende oder Militär aus reichen Ländern befallen können, in der Regel mehr Aufmerksamkeit haben. Wir sehen das ja auch derzeit durch die Corona Krise sehr deutlich. Zu Zeiten, als man dachte, dass gefährliche Corona Viren (SARS-1, MERS) in Asien bleiben und uns nicht betreffen, war die Thematik weitgehend uninteressant. Die vernachlässigten Tropenkrankheiten zeichnen sich in der Mehrzahl (Ausnahmen u.a. Dengue Virus oder Tollwut) dadurch aus, dass man sie auch als Reisende nur bei längeren Aufenthalten bekommt. Aber es zeigt sich immer wieder, dass es da auch plötzlich Änderungen geben kann: so war zum Beispiel die südamerikanische Chagas-Krankheit, eine Krankheit, die dort durch Raubwanzen übertragen wird, aber auch durch Bluttransfusionen weitergegeben werden kann, für unsere Gesellschaft weitgehend uninteressant. Dadurch, dass wir vor allem in Spanien viele Migranten aus Lateinamerika haben und diese teilweise die Erkrankung mitbringen, hat sich das geändert. Oftmals haben sie das Recht auf spanische Pässe und werden dann nicht einmal bei Blutspenden mit ihrem Migrationshintergrund und entsprechenden Gefährdungen erfasst. Es wird geschätzt, dass wir in Europa ungefähr 70.000 unerkannte Infektionen haben.
Prof. Dr. Achim Hörauf, Direktor des Instituts für Med. Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie an der Uniklinik Bonn ist ein Experte für vernachlässigte Tropenkrankheiten insbesondere für Filariosen. Seit September 2020 ist er Sprecher des Deutschen Netzwerkes gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten (DNTDS). Bild: A. Hörauf
Welche Bekämpfungsstrategien verfolgt man im Hinblick auf NTDs? Welche wichtigen Faktoren müssen in Ihren Augen Berücksichtigung finden, um nachhaltig das Risiko von NTDs in den betroffenen Regionen zu senken?
Hörauf: Bei Bekämpfungsstrategien muss man unterscheiden zwischen Krankheiten, die mittels Massenchemotherapie bekämpft werden können, und solchen bei denen man ein aktives Case Finding durchführen muss. Zu den ersten gehören zum Beispiel Onchozerkose, lymphatische Filariose, Bilharziose, gastrointestinale Wurminfektionen, und Trachom. Hier kann man teilweise dieselben Medikamente einmal im Jahr in einer Einmalgabe an die Bevölkerung verabreichen. Hier wird nicht geguckt, ob der Einzelne infiziert ist, wenn die Medikamente kaum Nebenwirkungen haben, und der Vorteil für die Bevölkerung bei einer Massenchemotherapie viel größer ist, beziehungsweise anderweitig gar nicht die Therapie umsetzbar wäre mit dem immer noch beschränkten Mitteln. Diese Krankheiten machen auch über 90 % der Fallzahlen der vernachlässigen Tropenkrankheiten aus.
Bei den anderen Krankheiten wird wie gesagt auf die einzelnen Fälle gesehen und dann behandelt. Das ist sehr viel arbeitsintensiver, aber diese Krankheiten sind zahlenmäßig auch sehr viel weniger.
Zusätzlich zu der Chemotherapie müssen aber noch mehrere Faktoren für Nachhaltigkeit Berücksichtigung finden: zum einen Kontrolle der Übertragungsvektoren, wenn die Krankheit durch solche übertragen wird. Zum anderen hygienische Maßnahmen, wie zum Beispiel Vermeidung der Defäkation in Süßwasser, um den Kreislauf der Bilharziose zu stoppen, und generell eine Verbesserung der Lebensbedingungen der armen Bevölkerung, wodurch sich dann auch die Exposition gegenüber diesen Krankheiten deutlich reduzieren würde. Es ist also auch eine sozialmedizinische Aufgabe, und aus diesem Grund nimmt die WHO bei der am 28.1.2021 gestarteten neuen Road Map 2030 die in die endemischen Länder mehr in die Pflicht, sprich in die Eigenverantwortung.
In wie weit findet der One Health Ansatz Berücksichtigung in der Bekämpfung von NTDs?
Hörauf: Der One Health Ansatz ist wichtig und findet weltweit immer mehr Berücksichtigung. Von Bedeutung ist, dass er jetzt auch in der neuen WHO Road Map schriftlich fixiert ist, vor allem für die Infektionen, wo man eben über den reinen Bereich der Biologie der Krankheitserreger und ihr dann medikamentösen Bekämpfung hinausdenken muss. Das trifft vor allem für die Zoonosen zu, aber natürlich auch für nicht-zoonotische Infektionen, insoweit sie von Klimabedingungen, Wasser etc. abhängen. Im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat man dies erkannt und eine eigene Unterabteilung für One Health eingerichtet, um in der bilateralen Zusammenarbeit diese Aspekte besonders zu fördern.
Wird der Klimawandel ihrer Meinung nach die Verbreitung von NTDs zukünftig beeinflussen?
Hörauf: Der Klimawandel wird die verschiedenen NTDs unterschiedlich beeinflussen. Zum einen gibt es paradoxe Fälle, wo zum Beispiel Abholzung von Wäldern in der Nähe von Flussläufen, beziehungsweise Einbringung von organischem Material, etwa durch Suche nach Bodenschätzen, und erst recht durch Umweltverschmutzung, bestimmte Vektoren nicht mehr brüten und damit die Übertragung von Krankheiten abnimmt. Ein gutes Beispiel ist hier die Flussblindheit.
Meistens jedoch wirkt sich der Klimawandel, verstärkt durch menschliche Eingriffe in die Natur, zu Gunsten der Verbreitung dieser Krankheiten aus. Zum einen sehen wir immer wieder, dass eingeschleppte Infektionserkrankungen zumindest in Süd-Europa sich längere Zeit halten können, weil die wärmeren Temperaturen auch die Übertragung tropischer Infektionen ermöglichen. So zum Beispiel bei Bilharziose-Herden in Korsika, oder Chikungunya-Fieber in Süditalien. Durch den Klimawandel wird vor allem die Ausbreitung von Mücken nach Norden berücksichtigt, wie zum Beispiel der Spezies Aedes, so dass alle von dieser Mücke übertragenen Krankheiten grundsätzlich zunehmen können.
Interview: Dr. Dana Thal i.A. für die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen