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Workshop „Tollwut - aus den Augen, nicht aus dem Sinn"

Am 9. November 2015 fand als erste gemeinsame Veranstaltung der Zoonosenplattform und der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen Düsseldorf der Workshop „Tollwut – Aus den Augen, nicht aus dem Sinn“ in Berlin statt. Ziel der Veranstaltung war, zu einem ganz konkreten Thema die Vertreter*innen aus Forschung und dem öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) zusammenzubringen, zu informieren und durch intensive Diskussionen Forschungslücken und Bedarfe für beider Seiten zu identifizieren.
Das vielfältige Programm gab einen aktuellen Überblick über die Tollwutforschung bis hin zur Tollwut als Reiseerkrankung. Die Referierenden sowie die Teilnehmer*innen setzten sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Forschung, des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der Veterinärbehörden zusammen. Es entstand rund um die Vorträge ein intensiver Austausch zum Thema Tollwut.
Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Prof. Martin Groschup als einer der drei Standortleiter der Zoonosenplattform (Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald – Insel Riems) die Anwesenden und skizzierte das neue Veranstaltungsformat, das Wissenschaftler*innen und ÖGD an einen Tisch bringen soll.

Tollwut erforschen und bekämpfen – ein Thema für Human- und Veterinärmedizin

Herr Dr. Freuling vom Nationalen Referenzlabor für Tollwut am Friedrich-Loeffler-Institut, Greifswald, erläuterte im ersten Fachvortrag die genetische Diversität von Tollwutviren und des Virusreservoirs. Tollwut sei eine der ältesten Zoonosen und gleichzeitig eine der unerforschtesten. Eine Heilung sei im Fall einer Infektion bis heute praktisch nicht möglich, fasste er zusammen. Eine umso größere Bedeutung hat daher die Impfung von Tieren und Menschen, die die Tollwut eindämmen kann, und dank derer Deutschland und große Teile Europas frei von terrestrischer Tollwut sind. Der One Health - Gedanke, der die enge Verbundenheit der Gesundheit von Tier und Mensch berücksichtigt, kann bei der Tollwut exemplarisch nachempfunden werden. Wiedereinschleppung und unbemerkte Verbreitung von Tollwut durch sog. Neozoen (Tiere, die ursprünglich nicht in einem Habitat vorkommen) ist eines der verbleibenden Risiken – die Wachsamkeit gegenüber Tollwut und die Erforschung von Tollwut dürften daher nicht nachlassen, so Freuling.
Von terrestrischer Tollwut abzugrenzen ist die Fledermaustollwut, die auch in zahlreichen Tollwut-frei deklarierten Ländern vorkommt. Hierzu gab Frau Eggerbauer (Friedrich-Loeffler-Institut, Riems) ausführliche Einblicke. Dank eines BMBF-finanzierten Projektes konnten in den vergangenen Jahren viele Fledermäuse auf Tollwutviren untersucht werden. Das Ergebnis ist, dass viele bekannte, aber auch viele neue Fledermaus-Tollwutviren bestimmt werden konnten. Eine Übertragung von Fledermaustollwut auf den Menschen ist jedoch nur für wenige Viren, wie das EBLV-1 (European Bat Lyssa Virus 1), bekannt. Zur weiteren Erforschung der Fledermaustollwut ist es nötig, zuverlässige Diagnostiksysteme, die z.B. serologische Test zulassen, zu etablieren. Außerdem ist über die Pathogenese der Fledermaustollwut in Fledermäusen oder auch in Labortieren noch recht wenig bekannt.

Tollwutbekämpfung in der Praxis

Frau Dr. Rodriguez Dorendorf von der Grenzkontrollstelle des Flughafens Tegel berichtete über gesetzliche Regelungen und die Handhabung von Tiertransporten aus Drittländern nach Deutschland. Vor dem Hintergrund des Einschleppungsrisikos von Tollwut erläuterte sie genau, welche Vorkehrungen getroffen werden und an welche Richtlinien sich Tierhalter und Tierärzte zu halten haben.
Herr Dr. Schönfeld (Reisemedizinische Ambulanz und Tollwutberatung des Instituts für Tropenmedizin und internationale Gesundheit, Berlin) gab einen ausführlichen Überblick über Tollwut als Reiseerkrankung. Er grenzte das Risiko ganz klar auf die Infektion durch Hunde, die 99% der (Verdachts-) Fälle ausmachen, ein und gab praktische Tipps zum Verhalten nach einem Hundebiss und nachfolgendem Tollwutverdacht. Er legte die Vor- und Nachteile einer Impfung dar, zeigte die verschiedenen Impfschemata und Impfstoffe, die es weltweit im Angebot gibt. Die Tollwutimpfung sei vor allem eine psychologische Unterstützung, da man im Fall eines Bisses im Ausland nicht nervös werden müsse und vor allem nicht auf zweifelhaft hergestellte Impfstoffe und Seren angewiesen sei. Diesem Szenario stellte er klare Verhaltensgrundregeln und Reiseformen, mit denen eine Infektion so gut wie ausgeschlossen werden könnte und für die eine Impfung nicht notwendig sei, gegenüber.
Anschließend beschrieb Herr Dr. Rieke, der Facharzt für Innere Medizin, Tropenmedizin, Infektiologie und Reisemedizin ist und über praktische Erfahrung mit der Therapie von Tollwut-Infizierten verfügt, das Vorgehen nach Bissverletzungen und das Procedere einer Postexpositionsprophylaxe. Er beschrieb zudem sehr anschaulich das klinische Bild von Tollwuterkrankten, von denen es jährlich weltweit geschätzt 50.000 bis 70.000 gibt. Herr Dr. Rieke beschrieb auch die letzten Tollwutfälle bei Menschen in Deutschland, die im Jahr 2004 und 2005 infolge einer unentdeckten Tollwuterkrankung bei einer Organspenderin aufgetreten waren.

Interdisziplinärer Austausch der Workshopteilnehmer*innen

Nach den Vorträgen, in den Pausen und am Schluss der Veranstaltung wurde jeweils intensiv diskutiert und Wissen ausgetauscht. Dabei profitierten alle von den spezifischen Fachkenntnissen des heterogen zusammengesetzten Teilnehmerkreises. Neben konkreten Fragestellungen im Tollwut-Verdachtsfall, zur Impfprophylaxe und zu Übertragungs- und Ansteckungsrisiken in Deutschland und auf Reisen wurde diskutiert, ob die Tollwutforschung „Opfer ihres eigenen Erfolges“ geworden sei – da Tollwut in Deutschland als ausgerottet und somit nicht mehr als Gefahr gelte. Die Teilnehmer*innen waren sich jedoch einig, dass die Forschung an Tollwut – in Bezug auf Diagnostik (v.a. bei Fledermäusen), Pathogenese und Therapie (v.a. bei Menschen) – nicht nachlassen dürfe, um wichtige, nicht erforschte Fragestellungen zu klären. Diese Botschaft müsse auch an Politik und Förderer verstärkt herangetragen werden.
Ergänzend müssten Fortbildungen für Ärzte und Tierärzte in Wissenschaft, Veterinärämtern und dem ÖGD stattfinden, um das Wissen über Tollwut wach zu halten, und eine Ausbreitung zu bemerken, falls sie durch Import oder sonstige Einschleppung auftreten sollte. Einige wünschten sich auch einen engeren Austausch zwischen Fledermausschützern, Veterinärämtern und Forschung. Zudem sollten – gerade für Personen, die Kontakt zu Fledermäusen hätten – aktuelle Fachinformationen zur Verfügung gestellt werden und das Wissen über Tollwut und das mögliche Ansteckungsrisiko durch Fledermäuse durch sensible und sachliche Öffentlichkeitsarbeit verbreitet werden.
Zusammenfassend kann diese erste Fachveranstaltung zur Vernetzung von Wissenschaft und Praxis als gelungen bezeichnet werden. Weitere Veranstaltungen – mit den Schwerpunkten Salmonellen, Lebensmittelinfektionen und Antibiotikaresistenzen – sollen im kommenden Jahr folgen.


Das Programm des Workshops finden Sie hier zum Nachlesen.

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