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Workshop "Forschung und Öffentliches Gesundheitswesen vernetzen - Antimikrobielle Resistenzen (AMR) gemeinsam bekämpfen"

Am 29. November 2016 kamen in Berlin zum vierten Mal Vertreter*innen aus Wissenschaft und öffentlichem Gesundheitsdienst (ÖGD) bei einem gemeinsam von der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen und der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen Düsseldorf organisiertem Workshop zusammen, um aktuelle Fragen gemeinsam zu diskutieren und nach Lösungsansätzen zu suchen. Thema waren diesmal Antibiotika-Resistenzen, ein drängendes Thema, das nur durch Human- und Veterinärmedizin gemeinsam gelöst werden kann.

Access versus Excess – globale Unterschiede in der Antibiotika-Verfügbarkeit

Die Veranstaltung wurde durch einen Vortrag von Dr. Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut (RKI) eingeleitet, in dem er die Resistenzsituation in Deutschland und international beschrieb. Er zeigte zahlreiche Initiativen, die sich weltweit der Reduktion von Resistenzen verschrieben haben, bis hin zum Global Action Plan der World Health Assembly mit den 5 Zielen: Kommunikation und Ausbildung, Surveillance, Hygiene, optimiertem Einsatz von Antibiotika und Forschung und Entwicklung. Dem stellte er aber auch den weiterhin mangelnden Zugang zu Antibiotika in manchen Teilen der Welt gegenüber: Access versus Excess; während teilweise übertriebene oder fehlerhafte Anwendung von Antibiotika praktiziert wird, die im Zusammenhang mit der Entwicklung von Resistenzen steht, gibt es anderswo ein Zugangsproblem zu Antibiotika. Nach wie vor sterben Menschen mangels einer Therapie, weil sie keinen Zugang zu lebensrettenden Antibiotika haben. Das Bild und die Entwicklung der Resistenzen in Deutschland sei sehr Erreger- und Regionen-abhängig. Insgesamt machen sich jedoch die Bemühungen, Antibiotikaresistenzen durch vielfältige Maßnahmen einzudämmen, bereits bemerkbar.

Resistenzbekämpfung als multifaktorielle Herausforderung

Frau Prof. Dr. Hortense Slevogt vom Zentrum für Innovationskompetenz Septomics in Jena erklärte die verschiedenen Resistenzmechanismen, über die Bakterien verfügen, und über deren Weitergabe zwischen Bakterien. Zu jedem Antibiotikum würden immer sehr schnell Resistenzen gefunden, da sich diese parallel zu den Bakterien entwickelt haben und somit seit Urzeiten zur bakteriellen Ausstattung gehören. Jeder Einsatz von Antibiotika erhöht somit den Selektionsdruck auf resistente Bakterien und „mendelt“ diese heraus, so dass diese mit der Zeit häufiger und sichtbarer werden. Das Entwickeln neuer antimikrobieller Substanzen könne nur ein kleiner Baustein der Resistenzbekämpfung sein, da die zu den neuen Wirkstoffen gehörenden Resistenzen nicht lange auf sich warten lassen würden. Viel wichtiger seien hingegen Hygiene, Antibiotic Stewardship, Ausbildung und Schulung aller Beteiligten (medizinisches Personal, Patienten) und eine genaue Untersuchung vor einem notwenigen Einsatz von Antibiotika. Für letztes seien zuverlässige und vor allem schnellere Diagnostiksysteme unerlässlich.

Multiresistente Staphylokokken – ein Problem für Tier und Mensch

Frau Dr. Christiane Cuny (RKI) berichtete ausführlich von Studien zur Übertragung von multiresistenten Staphylokokken zwischen Menschen und Tieren und zur Besiedlung von Menschen, die beruflich oder in ihrer Freizeit mit Tieren zu tun haben. Auch ein indirekter Kontakt zu Tieren, beispielsweise über ein Familienmitglied, könne zur nachweisbaren Besiedlung mit resistenten Bakterien führen. Daher motiviert Frau Dr. Cuny zu vernetztem Denken und interdisziplinärer Zusammenarbeit, wie sie in den Zoonosenverbünden MedVet-Staph und RESET bereits seit 2010 gelebt wird. Um Resistenzen bei Staphylokokken einzudämmen, hat sie einige, praktische Empfehlungen an Humanmediziner, Landwirte, Tierärzte und Verbraucher: neben dem restriktiven Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier empfiehlt sie unter anderem die Sanierung von Tier-Zuchtlinien, angepasste Haltungsbedingungen für Masttiere, die nachweislich die Entstehung von Resistenzen verlangsamen, das Etablieren einer schützenden Konkurrenzflora, Hygienemanagement und Küchenhygiene beim Verbraucher.
Fortbildungsbedarf in den Gesundheitsämtern
Herr Dr. Gerhard Pallasch aus dem Gesundheitsamt Stade berichtete aus dem Alltag der Gesundheitsämter, in denen häufig enormer Personalmangel herrscht, weshalb die Beteiligung an Forschungsaktivitäten oft gering ist. Antibiotikaresistenzen sind häufig im Zusammenhang mit der Hygiene in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen ein Thema. Herr Dr. Pallasch kritisiert, dass Hygienefortbildungen keine ausreichend hohe Priorität hätten, obwohl Antibiotikaresistenzen ein so dringliches Thema sind und das Einhalten von Hygiene ein wesentlicher Faktor bei der Eindämmung sei. Fragen aus Sicht der Gesundheitsämter gebe es viele – beispielsweise zum Thema Einzel- oder Mehrbettzimmer, zum Isolieren besiedelter Patienten und zum Umgang mit besiedelten Angestellten.

Das Antibiotika-Minimierungskonzept

Frau Dr. Doris Heim aus dem Landesamt für Landwirtschaft,Lebensmittelsicherheit und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern berichtete aus ihrem vielfältigen Aufgabenbereich. Sie teilte ihre Erfahrungen mit dem Antibiotika-Minimierungskonzept, das seit 2014 bundesweit für die Nutztierhaltung gilt. Der Landesbehörde obliegt die Sanktionierung derer, die zu hohe Abgabemengen haben. Bei einer Abgabemenge über einem bestimmten, relativen Wert, muss ein Maßnahmenplan zur Reduktion des Einsatzes vorgelegt werden. Bei mehrfachem, deutlichem Überschreiben der Anwendungsmengen, drohen empfindliche Strafen. Nach dem ersten Erfassungsjahr konnten die Abgabemengen um 50% gesenkt werden. Um die Raten weiter erfolgreich zu senken, werden komplexe Maßnahmen in vielen Bereichen, wie z.B. Hygiene und Stallbau notwendig sein. Die Aufgabe der Ämter wird dann weniger im Bereich von Sanktionierungen, als im Bereich Beratung, Prävention und Kommunikation liegen. In Zusammenarbeit mit dem Netzwerk HiCare, das an der Universität Greifswald angesiedelt ist, wird das Thema Antibiotika in Human- und Tiermedizin auch interdisziplinär beforscht. Es fehlt aber aktuell der Überblick über die Abgabemengen in der Humanmedizin. Sie stellt darüber hinaus weitere regionale und bundesweite Maßnahmen vor, um Antibiotikaresistenzen zu erfassen und zu minimieren.

Ein One Health- Ansatz für die Resistenzenbekämpfung in Deutschland nötig

Prof. Dr. Lothar Kreienbrock aus dem Institut für Biometrie, Epidemiologie und Informationsverarbeitung an der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover stellte in seinem Vortrag klar, dass bei der Betrachtung des One Health-Themas nicht nur an die Veterinär- und die Humanmedizin gedacht werden darf, sondern auch die Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielt. Zudem seien gemeinsame Anstrengungen entscheidend für einen Fortschritt in der Resistenzbekämpfung und gegenseitigen Schuldzuweisungen vorzuziehen. Er stellte dar, dass die WHO zur Eindämmung von Antibiotikaresistenzen einen 5-Punkte-Plan erarbeitet hätte, der sich jedoch nur teilweise in den Plänen von Deutschland wiederfindet. Diese fünf Punkte müssten nun von der internationalen auf die lokale Ebene gebracht und umgesetzt werden. Insbesondere sei es wichtig, das öffentliche Gesundheitswesen hierbei mit einzubeziehen. Hierfür benötigte es harmonisierte Strategien, lokale Kooperationen und Forschungsbegleitung. Die Forschung in diesem Bereich in Deutschland fände – bis auf wenige Ausnahmen – nicht gemeinsam statt, da hierfür die Förderung fehle. Zahlreiche Einzelaspekte würden bereits untersucht, simultane Betrachtungen von Antibiotikaverbrauch und Antibiotikaresistenzen fehlten aber beispielsweise.

In der Diskussion, die nach den Vorträgen von Dr. Christian Wagner-Alfs von Buko-Pharma moderiert wurde, zeigten sich einige Teilnehmer*innen erfreut darüber, dass in der Tiermedizin schon so konkret gegen hohe Abgabemengen vorgegangen wird. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass es nicht nur eine interdisziplinär zu behandelnde Fragestellung ist, sondern das Thema auch global und lokal angegangen werden muss. Es wurde angeregt, mehr Begleitforschung zu den inzwischen angelaufenen Reduktionsmaßnahmen in Veterinär- und Humanmedizin zu machen. Möglicherweise wäre hierfür sinnvoll, Krankenkassen und Krankenkassendaten einzubeziehen. Es wurde auch darüber nachgedacht, wie Forschungsfragen zu dieser Thematik effektiv gesammelt und in der Folge auch bearbeitet werden könnten.
 
Gruppenbild Workshop Forschung und Öffentliches Gesundheitswesen vernetzen 2016
Sebastian C. Semler (Berlin), Prof. Dr. Hortense Slevogt (Jena), Dr. Gerhard Pallasch (Stade), Prof. Dr. Lothar Kreienbrock (Hannover), PD Dr. Tim Eckmanns (Berlin), Dr. Christiane Cuny (Wernigerode), Dr. Christian Wagner-Alfs (Kiel), Dr. Doris Heim (Rostock), Dr. Peter Tinnemann (Berlin), Dr. Ilia Semmler (Berlin)


Programm


Vorträge:


Einleitungsworte zum Antibiotika-Resistenzworkshop
Sebastian C. Semler, TMF, Berlin

Das Prinzip Resistenz. Wo stehen wir in Deutschland und weltweit
PD Dr. Tim Eckmanns Robert Koch-Institut, Berlin
 
Resistenzweitergabe - Was wissen wir über die Ausbreitung von Resistenzen?
Prof. Dr. Hortense Slevogt Universität Jena
 
Das One Health Dilemma: Resistenzübertragung zwischen Mensch und Tier
Dr. Christiane Cuny Robert Koch-Institut, Wernigerode
 
Was sind die relevantesten Herausforderungen in der täglichen Praxis des Gesundheitsamtes?
Dr. Gerhard Pallasch Gesundheitsamt Landkreis Stade
 
Was sind die relevantesten Herausforderungen in der täglichen Praxis des Veterinäramtes?
Dr. Doris Heim Landesamt für Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit und Fischerei, Mecklenburg-Vorpommern
 
Forschungsinitiativen zu Antimikrobiellen Resistenzen (AMR) im One Health Kontext  – Was gibt es und was braucht der Öffentliche Gesundheitsdienst?
Prof. Dr. Lothar Kreienbrock Tierärztliche Hochschule Hannover
 
anschließend: moderierte Diskussion mit Dr. Christian Wagner-Alfs.
Moderation durch den Tag: Sebastian C. Semler und Dr. Peter Tinnemann
 
Veranstaltungsbericht auf VetMAB (externer Bericht) zu dieser Veranstaltung


 

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