Antibiotikaresistenzen und ihre Verbreitung über die Milch
Im zarten Alter von elf Jahren schwang sich der Autor dieser Zeilen zwei- bis dreimal die Woche auf sein Rad, fuhr zwischen Raps- und Maisfeldern entlang, bis er an einem der wenigen Bauernhöfe ankam, die am Ortsrand inmitten ihrer Anbaugebiete lagen. Fast alle diese Höfe hatten Pferdeställe. Nur wenige beherbergten Milchkühe. Und täglich wurden diese gemolken. Die Milch landete, bevor sie mit einem Tankwagen der Molkerei abgeholt wurde, zunächst in einem großen Kessel, an den die Landwirtin des Hofes, den der Autor ansteuerte, mithilfe einer kleinen Trittleiter herantrat. Sie öffnete die Luke des Kessels und befüllte mit einer Kelle die leeren Flaschen, die der Junge in seinem Fahrradkorb zum Hof transportiert hatte. Diese Milch schmeckte kräftig, fettig und vor allem irgendwie nach Bauernhof. Was der Autor nicht wusste: Schon damals hielten es die Behörden für keine gute Idee, Rohmilch zu konsumieren und rieten – wie heute – davon ab. Das Risiko, sich hier unschöne Erreger wie etwa Campylobacter oder Shigatoxin-bildende E. coli einzufangen, ist beständig vorhanden. Immerhin: Das Erhitzungsgebot für Milch stammt aus einer Zeit, in der auch die bakteriellen Erreger der Tuberkulose und der Brucellose durch den Verzehr von Rohmilch übertragen werden konnten. Diese letzten Gefahren hatten schon damals zum Zeitpunkt der Milchhofradfahrt, zumindest hierzulande, ihren Schrecken verloren, weil diese Erreger bei den Tieren u.a. mit Antibiotika erfolgreich bekämpft wurden. Außerdem wurde im 19. Jahrhundert das Pasteurisieren eingeführt, bei dem Milch erhitzt wird und die darin enthaltenen Bakterien unschädlich gemacht werden. Jahrzehnte später stehen nun der Einsatz von Antibiotika und der Verzehr von Rohmilch unter genauer Beobachtung.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung führt jährlich Monitoringprogramme durch, bei denen verschiedene Lebensmittelketten auf potenzielle zoonotische Erreger untersucht werden. Eines dieser Screenings ergab 2014, dass zehn Prozent der genommenen Milchproben belastet waren. Belastet mit Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA)-Stämmen. In jedem zehnten Milchtank, der in der Molkerei landete, waren also MRSA. Durch das Erhitzungsgebot war dies für die Konsummilch im Laden ungefährlich, aber was ist beim beliebten Verzehr von Rohmilch?
Grund genug, hier weiter aktiv zu werden. Im Rahmen des Forschungsnetzes Zoonotische Infektionskrankheiten startete vor vier Jahren eine Gruppe des Verbunds #1Health-PREVENT unter Leitung von Dr. Bernd-Alois Tenhagen das weiterhin laufende Forschungsprojekt „Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und andere multi-resistente Erreger (MRE) in der Milchlebensmittelkette“.
In der ersten Phase des Forschungsprojektes ging es zunächst darum, einen Überblick zu erhalten. An 20 ausgewählten, quer durch Deutschland verteilten Milchviehbetrieben, bei denen zuvor schon MRSA aufgefallen waren, wurden Beprobungen vorgenommen. Es galt zu klären: Wo kommen in diesen Betrieben überall Staphylokokken vor? Tragen die Kühe diese Erreger? Tragen die Kälber sie? Wie verbreiten sich diese Erreger? Welche Risikofaktoren können ausgemacht werden? Inwiefern sind die Erreger in der Umwelt dieser Betriebe verteilt?
Direkt vor Ort wurden Proben von Kühen, Kälbern und Jungrindern genommen, die Melkmaschine und der Staub in den Stallungen beprobt. Dabei wurde jeder Betrieb nach einem standardisierten Verfahren untersucht.
Im Labor nahmen sich der Mikrobiologe Dr. Tobias Lienen und der tierärztliche Doktorand Arne Schnitt die Proben vor: „Wir haben MRSA nicht nur isoliert, sondern auch charakterisiert. Uns hat die Frage interessiert, ob es verschiedene MRSA-Stämme auf den Betrieben gibt bzw. ob unterschiedliche MRSA-Stämme in den unterschiedlichen Proben vorkommen, also etwa bei den Kälbern andere als in der Milch.“
Bei einem Großteil der Isolate wurde das gesamte Genom sequenziert – was bei Staphylokokken immerhin gut drei Millionen Basenpaare sind. Im Anschluss konnten phylogenetische Studien durchgeführt werden. Dabei wird das Erbgutder untersuchten MRSA-Stämme verglichen. So wurden in verschiedenen Probentypen eines Betriebes oft dieselben MRSA-Stämme gefunden. Das lässt den Rückschluss zu, dass MRSA vermutlich über die Milch auf die Kälber übertragen werden.
Oft lassen sich auch verschiedene MRSA-Stämme innerhalb eines Betriebes finden, die sich entweder stark unterscheiden oder eben sehr ähnlich sind. Infektions- bzw. Verbreitungswege von MRSA innerhalb eines Betriebes oder auch zwischen Betrieben können so nachvollzogen werden.
Die einzelnen MRSA-Stämme wurden darüber hinaus auf antimikrobielle Resistenz- und Virulenzgene untersucht. „So lässt sich feststellen, inwiefern sie ausgehend von ihrem genetischen Repertoire pathogen für den Menschen sein können“, sagt Lienen. Die meisten stellten sich dabei als eher harmlos heraus. Dennoch: Die Möglichkeit, dass Resistenzgene untereinander ausgetauscht werden, besteht immer. Und die Wissenschaftler sind bei ihren Untersuchungen auf andere Staphylokokken-Stämme gestoßen, also auf Nicht-aureus-Staphylokokken. Diese gilt es, gerade auch im Hinblick auf deren Resistenzgene, weiter zu untersuchen.
Eindeutig ergab sich, dass MRSA im Euter von Kühen vorkommen. Hier rufen sie eine Mastitis hervor, eine Entzündung der Milchdrüse. Die Entzündungsanzeichen sind allerdings meist schwach, sodass die Landwirte in ihrer Routine sie nicht wahrnehmen und die entsprechenden Kühe weiterhin gemolken werden. Vor allem bei den Kälbern, aber auch bei den Jungrindern konnte eine MRSA-Belastung festgestellt werden. Die Infektion verbreitet sich vermutlich über die Milch. „Wenn es positive Fälle gibt, dann zieht sich die Infektion durch die gesamte Herde. Also nicht nur die Milchkühe, sondern alle Rinderaltersgruppen sind betroffen. Diese Infektionsausbreitung in den Griff zu bekommen, ist alles andere als trivial“, sagt Tenhagen.
Die zweite Phase des Projekts beschäftigt sich konsequenterweise mit Interventionsmöglichkeiten. Welche Alternativen zur Schlachtung der betroffenen Tiere gibt es, um MRSA aus der Herde zu eliminieren? Das Forschungsprojekt geht diese Fragestellung auf zwei Ebenen an:
Die erste Herangehensweise ist eine eher traditionelle. Hier werden Milchkühe, die von einer MRSA-Infektion betroffen sind, direkt nach dem Ende der Laktation mit für Milchkühe zugelassenen und für den Menschen weniger wichtigen Antibiotika behandelt, gegen die die nachgewiesenen MRSA noch empfindlich sind. Die Antibiotika-Behandlung erfolgt nicht oral, sondern direkt im Euter mit dem Ziel, dass die Kühe nach der Kalbung keine MRSA ausscheiden, die dann über die Milch die Kälber infizieren können. Im Anschluss müssen Proben zeigen, ob und inwiefern noch MRSA vorhanden sind.
Die zweite Herangehensweise erforscht das Erhitzen der Milch. Die Idee: Bevor Kälber mit der Milch in Kontakt kommen, erhitzt man die Milch, um die MRSA darin abzutöten. Allerdings ist das Kolostrum, also die erste Milch nach dem Kalben, für die Kälber besonders wertvoll. In ihr befinden sich Antikörper, die besonders wichtig sind, um das Neugeborene in den ersten Tagen gegen Infektionen zu schützen. Erhitzt man die Milch auf über 60 Grad, was in der Regel geschieht, um MRSA und andere mögliche Erreger abzutöten, zerstört man die Antikörper. Das Kolostrum verliert so seine schützende Funktion. Ob ein Erhitzen der Milch so möglich ist, dass MRSA eliminiert werden und gleichzeitig Antikörper erhalten bleiben, muss die Studie zeigen.
Beide Studien zur Intervention laufen aktuell noch. Ziel der Ansätze ist es, dass der Rindernachwuchs möglichst nicht mehr mit MRSA infiziert wird und somit mittelfristig keine Infektionen mehr in der Herde vorkommen.
Dennoch gilt für Rohmilchliebhaber, die eventuell ihre Milch per Rad frisch vom Landwirt abholen, auch ohne MRSA: Die Milch sollte vor dem Trinken erhitzt werden.