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"Ein interdisziplinäres Informations- und Servicenetz für die Zoonose-Forschung"

Interview mit Prof. Dr. Stephan Ludwig, Prof. Dr. Martin Groschup und Sebastian C. Semler zum Start der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen
 

Groschup, Ludwig, Semler
Koordinatoren der Zoonosen-Plattform (v.l.n.r.): Prof. Dr. Stephan Ludwig, Prof. Dr. Martin H. Groschup und Sebastian C. Semler


Februar 2009. Infektionskrankheiten aus dem Tierreich: Forschungsplattform ermöglicht Wissenschaftlern in Deutschland ab 2009 Zugriff auf wertvolle Ressourcen.
Das Interview führte Beate Achilles im Dezember 2008. Eine Kurzfassung ist im Februar 2009 in der E-Health-COM Nr. 1/2009 erschienen.

Gerade hat das BMBF den Förderantrag für den Aufbau einer Plattform für Zoonosen-Forschung bewilligt. Was sind denn eigentlich Zoonosen, und warum ist das Thema so wichtig?

Groschup: Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die bei Menschen und Tieren gleichermaßen vorkommen, so dass sich beide gegenseitig anstecken können. Solche Infektionskrankheiten gab es schon immer – denken Sie an die Pest, die Brucellose, die Tuberkulose oder die Tollwut. In der Vergangenheit wurden diese Krankheiten in der Human- und Tiermedizin gezielt bekämpft, so dass sie zwischenzeitlich in Deutschland kaum noch eine Bedeutung hatten.
Durch den heutigen globalen Warenhandel und die vielen Fernreisen können solche altbekannten Krankheitserreger jedoch wieder eingeschleppt werden. Auf diesen Wegen kommen aber auch Erreger zu uns, die hier bislang nie vorkamen. Zudem könnte der Klimawandel dazu führen, dass sich in Mitteleuropa Infektionskrankheiten festsetzen, die früher nur in wärmeren Ländern auftraten. Das gilt besonders für Erreger, die über Stechmücken und andere Insekten übertragen werden.
Auch unser geändertes Verhältnis zu Tieren und ein veränderter Umgang mit Lebensmitteln tierischen Ursprungs begünstigen die Ausbreitung von Zoonosen. Auf der einen Seite halten wir uns Kuschelratten und andere exotische Haustiere, haben aber auf der anderen Seite keinen persönlichen Kontakt mehr zu landwirtschaftlichen Nutztieren. Das macht die Herstellung sicherer Lebensmittel schwieriger, denn wir sind mit der normalen Keimflora dieser Tiere nicht mehr vertraut.
Ein weiteres Problem ist die starke Verwendung von Antibiotika in der Humanmedizin und in der modernen Tierproduktion. Sie hat zur Entstehung und Ausbreitung von für den Menschen gefährlichen, weil behandlungsresistenten Krankheitserregern beigetragen.
 
Was sind gegenwärtig die wichtigsten Fragestellungen und größten Herausforderungen in der Erforschung von Infektionskrankheiten aus dem Tierreich?

Groschup: Wir müssen zum einen das Vorkommen dieser zoonotischen Erreger bei Mensch und Tier erfassen und die Möglichkeit der Übertragung auf den Menschen unter den heutigen Bedingungen analysieren. Hierzu gehört auch eine Analyse der veränderten Umweltbedingungen – denken Sie nur an die Folgen des Klimawandels. Wir müssen die Infektionsmechanismen der Erreger und die dagegen gerichteten natürlichen Abwehrstrategien des Menschen verstehen lernen. Zum anderen müssen wir unsere diagnostischen Möglichkeiten verbessern, um die Infektionen frühzeitiger und sicherer zu erkennen. Auf der Basis all dieses Wissens müssen wir Impfstoffe zur Prophylaxe und Möglichkeiten zur Therapie für bereits infizierte Menschen und Tiere entwickeln.
      
Wie und woran arbeitet die Zoonoseforschung aktuell?

Groschup: Im Bereich der Zoonoseforschung werden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) zahlreiche Forschungsprojekte gefördert. Darunter sind neun durch das BMBF geförderte Forschungskonsortien.
Eines dieser Konsortien bearbeitet die Arboviren, also Viren, die von Insekten übertragen werden. Deren für uns wichtigste Vertreter sind die von Zecken übertragenen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)-Viren und das von Stechmücken übertragene West-Nil-Virus, welches bisher in Deutschland noch nicht aufgetreten ist. Andere virologische Projekte befassen sich mit Corona-Viren, wie dem SARS-Erreger, oder mit den Erregern der Aviären Influenza (Vogelgrippe).
Aber auch die durch Lebensmittel bedingten zoonotische Infektionen beim Menschen und die Infektionen mit Chlamydien werden bearbeitet. Ferner wird über das Q-Fieber, den Botulismus, über Mykobakterien und über die Toxoplasmose geforscht.

Der Begriff ist sehr abstrakt: Was genau kann man sich unter einer „Zoonosen-Plattform“ vorstellen? Was sind die Ziele?

Semler: Die „Zoonosen-Plattform“ soll als Informations- und Servicenetzwerk für alle Forschungsgruppen und -institutionen im Bereich der zoonotischen Infektionskrankheiten wirken, die in Deutschland aktiv sind. Ziele sind ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch, der Aufbau von Kooperationen und gemeinsamen Infrastrukturen sowie von Services, um die künftige Zoonoseforschung effizienter zu machen.
Zentrale Aufgabe ist die Bündelung der an vielen Standorten bereits jetzt exzellenten Forschungsaktivitäten und dabei das Zusammenführen von Human- und Tiermedizin, von universitärer und außeruniversitärer Forschung, insbesondere der Ressortforschung an den Bundesinstituten, sowie schließlich von molekularer, grundlagenorientierter und patientenbezogener Forschung. Genauso wie die Erreger nicht an Landesgrenzen Halt machen, ist auch für die Zoonosenforschung internationale Kooperation wichtig; entsprechend soll die Zoonosen-Plattform internationale Kontakte auszubauen helfen und zudem auch als Informationsstelle für die Öffentlichkeit dienen.
      
Die Plattform nimmt jetzt ihre Arbeit auf. Welche Vorteile wird dies für die Bekämpfung von Zoonosen  in Deutschland haben?

Semler: Die Plattform setzt zum einen auf den Erfahrungen der Forschungsverbünde im Zooonosen-Bereich, zum anderen sehr konkret auf der seit einem knappen Jahr aktive Arbeitsgruppe Zoonosen und Infektionsforschung in der TMF auf, in der sich die BMBF-geförderten Verbünde bereits zusammengefunden haben. Aktuell startet der Aufbau der Geschäftsstelle der Zoonosen-Plattform an den drei Standorten Berlin, Münster und Greifswald/Insel Riems.
Die Aktivitäten und Maßnahmen werden ganz maßgeblich von den in der Plattform agierenden Forschern bestimmt. Derzeit werden beispielsweise zentrale Erhebungen zu in Deutschland bereits vorhandenen Stamm- und Datensammlungen vorbereitet und Überlegungen angestellt, welche IT-Werkzeuge und IT-Services künftig über die Zoonosen-Plattform zur Verfügung gestellt werden sollen. Dies wird sicherlich auch positiven Einfluss auf Standardisierungsbemühungen im Bereich der Datenerhebung und des Meldewesens haben können. Auch Hilfestellungen in den Bereichen Organisationsunterstützung und Datenschutz sowie langfristige Projektkapitalisierung sind wichtige Themen.

Wer wird von der Zoonosen-Plattform zuerst profitieren?

Semler: Kurzfristig wird die Plattform sicher nicht direkt zur Verbesserung der Patientenversorgung bei einzelnen zoonotischen Erkrankungen beitragen können; dies zu suggerieren, wäre illusionär und unredlich. Wissenschaftliche Forschungsprojekte beispielsweise in der Impfstoffforschung, in der Erregerdiagnostik oder in der Lebensmittelkontrolle können durch die Zoonosenplattorm keineswegs ersetzt oder überflüssig gemacht werden.
Im Gegenteil soll die Zoonosenplattorm mittel- bis langfristig helfen, dass insbesondere solche Projekte, die aufgrund der Größe der Fragestellung im Verbund arbeiten, schneller vorankommen, weil beispielsweise einheitliche Datenschemata und Software-Werkzeuge bereits zur Verfügung stehen und weil Daten- und Probenbanken bekannt und nach geregelten Verfahren schnell zugänglich sind.
Wenn dies gelingt und durch schnelles, koordiniertes und erfolgreiches Vorgehen der Forschungsstandorte im Falle einer künftigen zoonotischen Infektionsbedrohung spürbar wird, dann wäre mit der Zoonosenplattorm viel erreicht.
Erste Ergebnisse und Erkenntnisse, wie die Verbundforschung im Zoonosen-Bereich und mit ihr die Arbeit in der Zoonosen-Plattform vorankommt, werden vielleicht schon auf dem Zoonosen-Symposium im Herbst präsentiert werden, das die Zoonosen-Plattform alljährlich ausrichten wird.
      
Herr Professor Ludwig, Sie sind Sprecher der Arbeitsgruppe Zoonosen und Infektionsforschung in der TMF. Woran arbeiten Sie dort gemeinsam?

Ludwig: Die AG Zoonosen und Infektionsforschung in der TMF wurde ins Leben gerufen, um die vielfältigen Aktivitäten in der Infektionsforschung besser zu vernetzen und ein gemeinsames Diskussionsforum zur Bearbeitung der besonderen Aspekte in diesem Forschungsbereich zu schaffen. Die AG-Mitglieder erörtern hier zum Beispiel Fragen des Umgangs mit hochinfektiösem Material, die Abstimmung der Aktivitäten mit Bundesinstituten oder die besonderen Aspekte bei der Einrichtung von Probenbanken. Darüber hinaus erarbeiten wir derzeit Strategien einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit. Die Arbeitsgruppe kann bereits auf einige erfolgreiche Maßnahmen zurückblicken, wie zum Beispiel ein größeres Pressegespräch im vergangenen Herbst oder den Start eines Projekts zum Aufbau gemeinsam nutzbarer Datenbanken.

Wie wird die Arbeitsgruppe mit der Zoonosen-Plattform zusammenarbeiten?

Ludwig: Die AG Zoonosen und Infektionsforschung bildet einen integralen Bestandteil der Aktivitäten der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen als Forum zur Diskussion und Entscheidungsfindung. Die Arbeitsgruppe dient der Community-Arbeit der in Deutschland tätigen Wissenschaftler auf dem Gebiet der zoonotischen Infektionskrankheiten.
Da diese Tätigkeit sich zu einem großen Teil mit den Aufgaben der Forschungsplattform Zoonosen überschneidet, wird die TMF-Arbeitsgruppe als eine grundlegende Diskussionsplattform in die gemeinsame inhaltliche Arbeit der Verbünde und Projekte der Zoonoseplattform integriert. Die TMF-Arbeitsgruppe bildet damit ein ständiges Diskussionsforum, das die inhaltliche Arbeit der Verbünde und Projekte der Zoonoseplattform reflektiert und die Geschäftsstelle der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen berät.

Als Forscher arbeiten Sie doch ständig mit Kollegen aus anderen Gebieten und von anderen Universitäten oder Forschungseinrichtungen zusammen. Warum ist dieser Zusammenschluss in der TMF dann für Ihr Thema noch wichtig?

Ludwig: In Deutschland gibt es viele hochkarätige Wissenschaftler und Projekte auf dem Gebiet der Infektionsforschung an zoonotischen Erregern. Die Aktivitäten sind jedoch oft sehr isoliert und es fehlt an interdisziplinären Ansätzen, die die komplexen Zusammenhänge von verschiedenen Seiten beleuchten.
Um das Themenfeld der Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen überspringen, erfolgreich bearbeiten zu können, ist eine bessere Zusammenarbeit von biomedizinischer Grundlagenforschung, Human- und Veterinärmedizin unverzichtbar. Nur so kann es gelingen, die Bedeutung eines Erregers hinsichtlich einer Erkrankung sowohl beim Menschen als auch beim Tier festzustellen und außerdem die molekularen Aspekte seines Krankheitspotentials näher zu beleuchten.  

Prof. Dr. Martin Groschup

Sebastian C. Semler

Prof. Dr. Stephan Ludwig

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