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Borna Disease Virus 1 in Deutschland

                                                                                                                             Grafik: D. A. Thal

Zoonotische Viren sind für zahlreiche Erkrankungen beim Menschen verantwortlich, wie zum Beispiel Tollwut, Vogelgrippe oder das Ebolafieber. Forscher haben nun veröffentlicht, dass ein weiteres zoonotisches Virus, das Borna Disease Virus 1 (BoDV-1), ursächlich für mehrere fatale Fälle von Gehirnentzündungen (Encephalitis) beim Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren gewesen ist (zur Studie). Das ist insofern bemerkenswert, da man bis 2018 ein zoonotisches Potenzial nur dem Bornavirus aus Bunthörnchen („variegated squirrel bornavirus-1“, VSBV-1) zugeschrieben hatte, nicht aber anderen Bornaviren. An der Studie war auch Prof. Dr. Martin Beer, Mitglied des Internen Beirats der Zoonosenplattform und Leiter des Instituts für Virusdiagnostik am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems, beteiligt. Ihn haben wir zum aktuellen Forschungsstand zum Borna Disease Virus 1 in Deutschland befragt.

ZOOP: Herr Beer, in einer kürzlich im „Lancet Infectious Diseases“ erschienen Studie haben Sie mit Kolleginnen und Kollegen von mehreren durch Borna Disease Virus 1 verursachten tödlichen Gehirnentzündungen bei Patienten in Deutschland in den vergangenen Jahren berichtet. Von wie vielen Fällen sprechen wir hier?

Beer: Insgesamt handelt es sich um bisher 14 publizierte Fälle, die entweder in der jüngeren Vergangenheit akut erkrankt sind oder um retrospektiv identifizierte Patienten, bei denen archiviertes Material untersucht werden konnte. Die Fälle decken einen Zeitraum von 1999 - 2019 ab. Auf die Jahre gerechnet handelt es sich also um eine relativ geringe absolute Fallzahl an schwer verlaufenden Infektionen mit BoDV-1 beim Menschen in Deutschland. Allerdings handelt es sich mit wenigen Ausnahmen um tödliche Verläufe.

ZOOP: Bereits in den 1980er und 90er Jahren gab es immer mal wieder wissenschaftliche Publikationen zu Nachweisen des Virus beim Menschen und es gab eine Diskussion über einen potentiellen Zusammenhang von BoDV-1-Infektionen und psychischen Erkrankungen1. Wie sieht man diese Daten heute?

Beer: Diese Daten müssen sehr kritisch hinterfragt werden. Analysen tierischer Proben haben gezeigt, dass sich die Sequenzen von Bornaviren sehr gut nach ihrem geographischen Ursprung clustern lassen. Die publizierten Sequenzen, die in früheren Studien von menschlichen Proben angegeben wurden, zeigten hingegen diese geographischen Differenzierungen nicht. Allerdings ist eine große Ähnlichkeit zu Laborstämmen und Viren aus Tieren aus anderen Regionen zu erkennen. Zudem erfolgten Nachweise in Ländern, in denen das Virus auch beim Tier noch nie nachgewiesen werden konnte. Hinzu kommt, dass die damaligen Methoden wie die nested-PCR sehr kontaminationsanfällig waren und auch die verwendeten Serologieteste nicht ausreichend spezifisch waren. Das wurde bereits vor einigen Jahren von einigen Kollegen erkannt und entsprechend publiziert. (weitere Details hier 2)

ZOOP: Was unterscheidet die jetzige Studie von früheren Annahmen?

Beer: In unserer Studie können wir einen direkten epidemiologischen Bezug zum Virusreservoir herstellen, die Viruslast ist bei den von uns untersuchten Fällen sehr hoch, die Antikörperreaktion ist eindeutig und wir sehen damit verbundene, sehr schwere klinische Verläufe. Zudem beruht der Infektionsnachweis auf mehreren unabhängigen Methoden zum direkten und indirekten Virusnachweis. Im Gegensatz zu früheren Annahmen eines weit verbreiteten Vorkommens von BoDV-1-Infektionen in der Bevölkerung, zeigen unsere Daten eine geringe Anzahl an akuten BoDV-1-Infektionen beim Menschen, die dann aber in der Regel tödlich verlaufen.

ZOOP: Wie ist der Krankheitsverlauf einer BoDV-1 Infektion beim Menschen? 

Beer: Aufgrund der bisher analysierten Fälle ist zum jetzigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass nach einer ersten Inkubationszeit eine kurze Phase mit unspezifischen grippalen Krankheitssymptomen wie Kopfschmerzen, erhöhter Temperatur und verminderter Leistungsfähigkeit eintritt. Darauf folgen deutliche neurologische Symptome und eine schnelle Verschlechterung des Gesundheitszustandes bis hin zum Koma und Tod des Patienten.  
Hierbei ist jedoch zu beachten, dass wir nur die schwer verlaufenden Fälle untersucht haben. Wir können im Moment noch nicht sagen, ob auch asymptomatische oder milder verlaufende Infektionen beim Menschen auftreten können.

ZOOP: Waren die Fälle auf bestimmte Regionen in Deutschland begrenzt?

Beer: Ja, bei den bestätigten Fällen handelt es sich bisher ausschließlich um Patienten aus Bayern. Allerdings ist es auch denkbar, dass benachbarte Regionen betroffen sein könnten, dort wurden bisher aber auch kaum entsprechende Proben untersucht. Das soll jetzt aber verstärkt im Rahmen des Forschungsverbundes „Zoonotic Bornavirus Consortium“  (ZooBoCo) erfolgen. Der Verbund ist Teil des Nationalen Forschungsnetzes zoonotische Infektionskrankheiten, welches unter dem Dach der Nationalen Forschungsplattform für Zoonosen angesiedelt ist. In diesem Verbund verfolgen wir bereits sehr erfolgreich die Zusammenarbeit von Human- und Veterinärmedizin ebenso wie den Transfer der Ergebnisse in die Anwendung des öffentlichen Gesundheitsdienstes.

ZOOP: Wie können sich Menschen mit dem Virus infizieren? 

Beer: Als natürlicher Wirt (Reservoirwirt) des Virus konnte vor mehr als 10 Jahren die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) identifiziert werden. Die infizierten Feldspitzmäuse zeigen selber keine erkennbaren Krankheitszeichen, aber man findet in Proben dieser Tiere hohe Viruslasten und sie scheiden das Virus z.B. über Speichel, Kot und Urin aus. Zum jetzigen Zeitpunkt vermuten wir, dass sich der Mensch durch den Kontakt mit den virushaltigen Sekreten der Feldspitzmaus infizieren kann. Welche Kontaktmöglichkeiten eine Rolle spielen ist ebenfalls ein Forschungsziel des ZooBoCo-Verbundes. 

ZOOP: Gibt es besonders gefährdete Personengruppen?

Beer: Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass besonders Personen, die sich im Endemiegebiet viel draußen aufhalten, in ländlichen Bereichen leben und so in Kontakt mit Feldspitzmäusen oder deren Ausscheidungen kommen können, sich infizieren können. Welche Rolle die von Katzen gefangenen und eventuell zum Besitzer gebrachten Feldspitzmäuse spielen, können wir derzeit noch nicht sagen. Aber auch dabei könnte es sich um einen Risikofaktor handeln. Bekannte Endemiegebiete des Virus sind derzeit in Berufung auf veterinärmedizinische Daten auf einige Regionen in Deutschland (Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt sowie angrenzende Teile benachbarter Bundesländer) sowie in Österreich, Lichtenstein und der Schweiz beschränkt. Betrachten wir die bisherigen Fallzahlen, kann man jedoch davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion sehr gering ist.
Bezogen auf Alter oder Geschlecht konnten bis jetzt keine besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen ausgemacht werden.

ZOOP: Kommen weiter Tiere als Überträger in Frage?

Beer: Bis jetzt konnten wir keine weiteren Reservoirwirte des Borna Disease 1 Virus identifizieren.
Allerdings können sich auch andere Tiere wie Schafe, Pferde, Rinder, Katzen oder Alpakas mit dem Virus infizieren. Diese sind jedoch, genau wie der Mensch, Fehlwirte des Virus und erkranken daher an der Infektion, scheiden aber keine Viren aus (sog. „Sackgassenwirte“). Bei der sogenannten Borna`schen Krankheit (benannt nach der Stadt Borna bei Leipzig, wo Ende des 19. Jh. die Krankheit erstmalig in größerem Umfang bei Pferden auftrat), sind Gehirn und Rückenmark der Tiere befallen was sich unter anderem in Fieber, Schlafsucht, Apathie, Depression und Bewegungsstörungen äußert. Die Krankheit hat beim Pferd meist einen tödlichen Verlauf. Aktuelle Fallzahlen sind nicht bekannt, dass soll sich aber durch die Einführung einer Meldepflicht im Jahr 2020 ändern. 
Alle Fehlwirte, inklusive dem Menschen, scheiden kein Virus aus und können das Virus nach heutigem Wissensstand somit auch nicht auf Menschen übertragen.

ZOOP: Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist in diesem Fall also nicht denkbar?

Beer: Nein, eine klassische Übertragung von Mensch zu Mensch können wir zum jetzigen Zeitpunkt ausschließen. Eine Ausnahme bildet der Sonderfall der Organtransplantation. Im Jahr 2016 erkrankten drei Personen, nachdem diese eine Organspende einer unerkannt infizierten Person erhalten hatten. Auf diesem Weg ist eine nosokomiale Infektion also möglich. Der Organspender hatte keine Anzeichen einer Bornavirus-Infektion und verstarb aus anderen Gründen.

ZOOP: Gibt es eine Therapie für eine BoDV-1-Infektion?

Beer: Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir weder für Menschen noch für Tiere zugelassene Wirkstoffe. 

ZOOP: Ist Deutschland das einzige betroffene Land in Europa?

Beer: Das Hauptendemiegebiet liegt in Deutschland und es ist bisher das einzige Land in Europa, in dem Infektionen beim Menschen mit BoDV-1 nachgewiesen werden konnten. Allerdings gibt es Nachweise beim Tier auch in Teilen Österreichs, der Schweiz und Lichtenstein. 

ZOOP: Wie gut ist Deutschland auf den neuen zoonotischen Erreger vorbereitet bzw. welche Maßnahmen werden ergriffen? 

Beer: Ab dem 01.03.2020 besteht eine Meldepflicht für humane Infektionen mit BoDV-1 in Deutschland. Für Tiere ist die Einführung einer Meldepflicht ebenfalls für dieses Jahr vorgesehen. Zudem hat das bayerische Gesundheitsministerium die Einrichtung einer zentralen Stelle zur Erforschung von BoDV-1 für den Sommer 2020 angekündigt. In dem Projekt "Borna Focal Point Bayern" sollen Wissenschaft und Öffentlicher Gesundheitsdienst eng zusammenarbeiten. Dieses Projekt wird vom Forschungsnetz Zoonosen unterstützt. Die Finanzierung erfolgt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Zudem wurde bereits im Oktober 2017 der Forschungsverbund „Zoonotic Bornavirus Consortium“ (ZooBoCo) ins Leben gerufen (siehe oben). Alle neueren Erkenntnisse zum zoonotischen Charakter von BoDV-1 wurden innerhalb von ZooBoCo erarbeitet, was man als großen Erfolg dieser Förderung werten muss.

ZOOP: Wo sehen Sie die zukünftigen Herausforderungen für die Zoonosenforschung bezogen auf Bornaviren?

Beer: Es gibt noch viele offene Fragen und damit natürlich auch noch viel Forschungsbedarf zu Bornaviren. Es ist wichtig zu verstehen, wie das Virus übertragen wird und welche Risikofaktoren es für eine Infektion gibt. Ein wichtiger erster Schritt war bereits die Vernetzung von Human- und Veterinärmedizin sowie der Dialog mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst. Dieser „One Health“-Ansatz ist ein grundlegendes Konzept moderner Zoonosenforschung.

ZOOP: Herr Beer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Interview Dana Thal i.A. für die nationale Forschungsplattform für Zoonosen (ZOOP)

1Chalmers RM, Thomas DR, Salmon RL. Borna disease virus and the evidence for human pathogenicity: a systematic review. QJM. 2005 Apr;98(4):255-74. Epub 2005 Mar 10.

2Dürrwald, R., Kolodziejek, J., Herzog, S. and Nowotny, N. Meta‐analysis of putative human bornavirus sequences fails to provide evidence implicating Borna disease virus in mental illness. Rev. Med. Virol., 2007, 17: 181-203. doi:10.1002/rmv.530
 

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